Wozu braucht es noch den Reformationstag? (über cdu.de)

31.10.2023
Über folgenden Link gelangen Sie zu dem Interview mit Thomas Rachel MdB, welches auf der Website der CDU Deutschlands veröffentlicht wurde:
 
 
Anlässlich des Reformationstags am 31. Oktober hat die Redaktion der CDU mit Thomas Rachel gesprochen. Thomas Rachel ist seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages. Außerdem ist er Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, Kirchen- und Religionspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland. Themen waren die Bedeutung des Reformationstags, das 'C' im Namen der CDU sowie der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU. Was wir mitgenommen haben? Gerade in diesen ernsten Zeiten lohnt es sich, des Reformationstages zu gedenken.
 

CDU: Was wird am Reformationstag gefeiert und warum ist der Reformationstag auch in der heutigen Zeit noch wichtig?

Thomas Rachel: Wir feiern den Reformationstag ja nicht nur als gläubige Protestanten, sondern auch, weil die universalen Prägungen und Fortwirkungen der Reformation - für unser Land, für unsere Gesellschaft, für unsere Kultur und für unser eigenes Leben - bis heute bedeutsam und spürbar sind.

Die Reformation war keineswegs nur eine binnenkirchlich-theologische Angelegenheit, sondern auch ein kulturelles, gesellschaftliches und politisch äußerst folgenreiches Gesamtereignis von geschichtsmächtiger Strahlkraft.

Mit der vollständigen Übersetzung der Bibel hat Martin Luther zu seiner Zeit z.B. den entscheidenden Grundstein für unsere moderne deutsche Sprache sowie ein völlig neues Verständnis von Bildung gelegt. Im Mittelpunkt steht nämlich der mündige, urteilsfähige und seine Glaubens- und Gewissensüberzeugungen reflektierende Mensch selbst. Die Reformation hat hier einen für Neuzeit und Gegenwart bleibenden Standard gesetzt: Persönlicher Glaube, mündige Gewissensbindung und Weltverantwortung gehören fortan untrennbar zusammen. Christliche Freiheit bedeutet immer Freiheit in Bindung und Verantwortung, und zwar Verantwortung gegenüber Gott und den (mir anvertrauten!) Menschen, biblisch gesprochen: den „Nächsten“. Wir befinden uns in erschütternden Zeiten von Hass, Gewalt, Krieg und leider auch wieder massiv erstarkenden religiösen und ideologischen Fundamentalismen.

Meine feste Überzeugung: Gerade jetzt sind persönliche Wissens- und Gewissensbildung sowie ein verantwortungsvolles Freiheitsverständnis für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster kultureller und religiöser Prägungen ein unverzichtbarer Kompass, gerade auch in Gesellschaft und Politik.

 

CDU: Die CDU arbeitet aktuell am neuen Grundsatzprogramm. Warum braucht es heute noch das ‚C‘ in der CDU?

Thomas Rachel: In diesen schweren Zeiten voller Krisen, Verwerfungen, Spaltungen und Polarisierungen sollten wir uns wieder an dieses entscheidende Grunddatum des ‚C‘ erinnern: Als Menschen sind wir letztlich allesamt Kinder unseres Vaters im Himmel, Menschengeschwister und unverwechselbare und einzigartige Ebenbilder Gottes.

Das Christliche Menschenbild der CDU ist inklusiv-einladend, brückenbauend und universal. Ganz egal, ob Jude, Muslim, Christ oder Agnostiker: Jeder ist hier mitgemeint und keiner ausgeschlossen.

Jeder vernünftige Mensch, der guten Willens ist, kann deshalb diese universal gültigen Werte aus vollem Herzen bejahen. Dieses universale Bild vom Menschen betont dabei – vor allem im Gefolge der Reformation – etwas für Politik und Gesellschaft ganz entscheidend Wichtiges: Als Menschen sind wir stets Irrtum, Fehlerhaftigkeit, Schuld und Unvollkommenheiten ausgesetzt. Deshalb haben alle Reformatoren sehr deutlich betont: Allein durch die Liebe und Gnade Gottes - und eben nicht aus uns selbst, unseren Taten, scheinbaren Vortrefflichkeiten oder Werken heraus – haben wir bereits eine unverlierbare menschliche Würde. Und wir müssen uns diese Würde nicht erst verdienen. Wir besitzen sie von Geburt an.

Und als so von Gott Geschaffene und Gewürdigte sind wir auch zum guten Dienst in dieser Welt und zur politischen Verantwortung berufen und befreit. Wir sind darüber hinaus befreit von Illusionen über uns selbst, menschlichen Allmachtsfantasien, letzten und absoluten Wahrheiten und Ideologien, weil wir eben auch um unsere eigenen Unvollkommenheiten, Schwächen und Fehler wissen. Und wenn Gott mir immer wieder auch meine eigenen Fehler und Schwächen vergibt, dann kann und soll ich auch meinem Nächsten und Mitmenschen vergeben.

Ich möchte in keiner Welt und Gesellschaft leben, in der die christlichen Begriffe von „Versöhnung“ und „Nächstenliebe“ nur noch Fremdworte sind! Die Orientierung am ‚C‘ stiftet Bereitschaft zum Engagement und zur Verantwortungsübernahme und baut Brücken der Versöhnung und des Friedens - insbesondere in wieder ausgesprochen unfriedlichen Zeiten!

Ohne diese integrierende und zusammenführende Kraft des ‚C‘ gäbe es übrigens auch überhaupt gar keine Gemeinschaft all der so unterschiedlichen sozialen, liberalen und konservativen Kräfte und Strömungen unter ein- und demselben parteipolitischen Dach. Ohne das ‚C‘ verlöre die „Union“ deshalb nicht weniger als ihren tragenden Grund und Kompass sowie ihre politische Identität als versöhnende Volkspartei der Mitte.

 

CDU: Sie sind Vorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU (EAK). Was macht der Evangelische Arbeitskreis? Wie kann ich mich beteiligen?

Thomas Rachel: Der EAK ist seit der Gründung durch Hermann Ehlers im Jahre 1952 der Zusammenschluss aller evangelischen Unionsmitglieder, die wegen ihres Glaubens und seiner Grundlagen in den Unionsparteien einen Beitrag zu einer vor Gott und den Menschen verantworteten Politik leisten wollen. Er ist seit über 70 Jahren eine verlässliche Brücke zwischen Kirche und Politik.

Im EAK arbeiten aber genauso Menschen mit, die keine Mitglieder der Unionsparteien oder der Evangelischen Kirche sind. So gibt es über die ordentliche und natürliche Mitgliedschaft aller evangelischen CDU-Mitglieder hinaus auch zahlreiche Gastmitglieder und solche, die sich einfach thematisch für unsere Arbeit interessieren und mitmachen wollen. Der EAK ist in dieser Hinsicht immer schon ein tragender Brückenpfeiler zwischen der Parteipolitik der CDU und der bunten Vielfalt der Gesellschaft insgesamt.

Der EAK vertritt also nicht nur die typischen Kernbelange der protestantischen Minderheit innerhalb der mehrheitlich katholisch dominierten Unionsparteien, sondern ist vor allem ein offenes und im ökumenischen Geiste arbeitendes Grundsatzforum für alle wichtigen und spannenden Fragen rund um Glauben, Religion und Ethik.